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Tabuthema: Depressionen am Arbeitsplatz

Tabuthema: Depressionen am Arbeitsplatz

Depression am Arbeitsplatz_Tabuthema

350 Millionen Menschen weltweit leiden an Depressionen. In Österreich sind ca. 10 – 25% unserer Bevölkerung davon betroffen, Tendenz aufgrund der Pandemie stark steigend. Gleichzeitig sind Depressionen noch ein großes Tabuthema! Speziell bei Depressionen am Arbeitsplatz wird dies so gut wie nie thematisiert und aufgearbeitet. Grund genug mich diesem anzunehmen! Herausgekommen ist dabei ein bewegendes Interview…

Depressionen am Arbeitsplatz: Die unsichtbare Krankheit

Depressionen? Hm, ist das nicht, wenn man keine Freude mehr empfinden kann, dauernd schlecht drauf und traurig ist? Bis vor kurzem hatte ich mit dem Thema Depressionen kaum Berührungspunkte, außer dass mir vor ein paar Jahren meine ehemalige Arbeitskollegin verriet, dass sie unter welchen leiden würde. Sie hatte die Krankheit aber mit den Medikamenten gut im Griff. Dies war alles, was ich bis dato darüber wusste. Gerade wenn man niemanden in seinem Umfeld hat, der mit dieser Krankheit kämpft, dann scheint diese fast leise an einem vorüber zu gehen. Sind wir nicht alle mal ein bisschen traurig oder depressiv? Ist doch keine große Sache, da mussten wir alle mal durch. Die Zahlen sprechen aber eine eindeutige Sprache: 350 Millionen Menschen weltweit leiden an Depressionen! (Quellewww.depression.atEs ist eine anerkannte Krankheit, die unsichtbarer nicht sein kann. 

Depressionen am Arbeitsplatz: Fürsorgepflicht oder einfach Wegsehen?

Diese und weitere Äußerungen stimmten mich nachdenklich, und ich ging der Sache nach. Ich wollte verstehen, was Depressionen sind und was sie mit Menschen anrichten, dass sie diese bis zum Suizid treiben. Deshalb las ich alles was mir dazu in die Hände fiel und sprach oft mit unterschiedlichen Menschen darüber. Ich dachte: Wenn so viele Menschen an dieser Krankheit leiden, dann ist die Wahrscheinlichkeit äußerst groß, dass auch unmittelbare KollegInnen davon betroffen sind. Doch selbst in der HR-Welt, in der oft die wichtigsten und grundlegendsten Themen bearbeitet und diskutiert werden, war der Umgang mit dieser Krankheit kaum Thema! Warum eigentlich nicht?! Sie ist so stark, dass sich Menschen in den Suizid stürzen und wir finden es kaum notwendig darüber zu sprechen und präventive bzw. begleitende Maßnahmen zu ergreifen? Diese Erkenntnis machte mich fassungslos und trieb mich noch mehr an, mich damit tiefer zu beschäftigen.

Ganz zufällig kam ich mit einer langjährigen Freundin ins Gespräch, die ich auch schon länger nicht mehr persönlich gesehen hatte. Nach einigen Minuten kamen wir auch auf dieses Thema zu sprechen und plötzlich kam etwas wirklich unvorhergesehenes für mich: Sie stand da und meinte auf einmal, dass sie bereits seit 8 Jahren an Depressionen leide. Ich war schockiert! Natürlich hatte ich sie schon länger nicht gesehen, doch hörten bzw. lasen wir uns doch regelmäßig. Sie schien die „ganz normalen“ Sorgen, Ängste und auch Freuden wie wir alle zu haben. Das hätte ich mir nie gedacht! Ich hab doch gar nichts bemerkt! Sandra (Name geändert) öffnete sich mir gegenüber und beantwortete geduldig alle meine tausenden Fragen, die ich zum Thema Depressionen hatte. Daraus ist nun dieses bewegende Interview entstanden:

Es würde den Alltag einfacher machen, wenn ich offen über meine Krankheit mit anderen in der Firma sprechen könnte, sodass sie einfach Bescheid wissen.

Sandra, Betroffene

„Wann ist die Krankheit aufgetreten bzw. wann hast du realisiert, dass du an Depressionen leidest?“

Sandra: Es hat alles vor 8 Jahren begonnen. Davor war ich glücklich verheiratet, mein Leben lief in geregelten Bahnen ab und ich freute mich auf unsere gemeinsame Zukunft. Doch dann kam die Scheidung, und ich stand plötzlich vor dem nichts – und dazu noch ganz alleine. Ich stürzte auf einmal in ein tiefes Loch. Ich brach den Kontakt zu allen anderen ab, schottete mich ab. Wie du weißt, hatte ich bereits in meiner Kindheit mit schweren Erlebnissen zu kämpfen, doch die Scheidung war das so genannte Tröpfchen, welches das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Darüber hinaus begann ich mich selbst zu verletzen, also mich zu ritzen, doch nicht auf den Armen – das konnte ja jeder sehen – sondern auf den Beinen. Da ich sowieso fast nur lange Hosen und Röcke trage, war dies die perfekte Stelle. Das Ritzen war für mich ein Ventil, wo ich alles was in mir steckte, herauslassen konnte. Außerdem konnte ich mich durch den Schmerz wieder selbst spüren.

„Wer stand damals an deiner Seite, sodass du dich aus dieser Negativspirale befreien konntest?“

Sandra: Meine Mutter hat mich hier rausgeholt! Ohne sie wäre ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Ich hatte damals 5 mal versucht mich selbst umzubringen, war dadurch sehr oft in speziellen Kliniken, und sie war in dieser ganzen Zeit wirklich immer an meiner Seite. Ich verdanke ihr einfach so viel – mein ganzes Leben!

„Wie kann man sich ein Leben mit Depressionen, vor allem mit Depressionen am Arbeitsplatz vorstellen? Was passiert da mit einem?“

Sandra: Jeder Tag ist ein Kampf, den du mit dir selbst austragen musst. Keiner steht dir bei oder kann dir helfen. Dies lässt du auch gar nicht zu. Man kann es sich in etwa so vorstellen: deine Seele will einfach nur sterben, während dein Körper ums Überleben kämpft. Dieser innere Kampf begleitet dich vom ersten Augenaufschlag in der Früh, bis zum letzten am Abend. Es ist eine innere Stimme, die dich den ganzen Tag über fertig macht. Sie sagt dir fast die ganze Zeit, wie unfähig du bist, dass du sowieso kein glückliches Leben verdient hast und du außerdem nichts kannst. Auch wenn ich beispielsweise im Büro ein knifflige Aufgabe gelöst habe, so ist es unmöglich mich darüber zu freuen. Das war doch nur Zufall! Freude ist überhaupt ein Gefühl, welches ich nicht mehr kenne.

Deine Seele will einfach nur sterben, während dein Körper ums Überleben kämpft!

Sandra, Betroffene

„Du hast 2 kleine Kinder zu Hause. Gibt es da nicht Situationen, wo man sich vielleicht mal mit ihnen freut?“

Sandra: Wie gesagt, ich spüre keine Freude. Positive Gefühle zu erleben ist etwas, was ich nicht mehr kann. Mein großes Ziel ist es, wieder Zufriedenheit spüren zu können, doch bis dorthin ist es noch ein langer Weg. Es geht alles nur step by step und das ziemlich langsam. Ich bin so ein ungeduldiger Mensch, was das ganze nicht leichter für mich macht. Oft geht es einen Schritt nach vorne und am nächsten Tag wieder 2 Schritte zurück. Man muss lernen damit zu leben und dies zu akzeptieren. Dies ist auch leichter gesagt als getan, denn es gibt oft Momente, in denen ich neidisch auf alle Menschen bin, die Freude empfinden können. Damit meine ich bereits die kleinen Dinge im Alltag, wie beispielsweise die Freude an einem Regenbogen nach einem Unwetter.

„Wie schaffst du es nun deinen Alltag mit Arbeit und Familie zu bewältigen?“

Sandra: Sich jeden Tag diesen Kampf zu stellen, erfordert sehr viel Kraft. Diese Kraft kann nur ich selbst aufbringen. Mein Mann kennt meine Krankheit und auch meine Ticks die damit verbunden sind. Er steht zu mir, ist geduldig und erträgt mich auch in sehr dunklen Momenten – dafür danke ich ihm aus tiefsten Herzen! Darüber hinaus gehe ich regelmäßig zu meiner Gesprächstherapie und lasse auch in regelmäßigen Abständen meine Medikamentendosis überprüfen bzw. ggfs. neu einstellen. Im Arbeitsalltag hilft mir meine Kollegin durch schwierige Phasen. Sie ist der Ruhepol, der mich oft wieder erdet und mich auf andere Gedanken bringt. Sie stützt mich und übernimmt beispielsweise auch kurzfristig Telefonate, wenn ich dazu nicht in der Lage bin. Auch weiß sie um mich und meine Krankheit Bescheid.

„Depressionen sind immer noch ein großes Tabuthema in der Arbeitswelt. Was ist deine Meinung dazu?“

Sandra: Unternehmen müssen sich endlich mit dieser Krankheit beschäftigen! Es ist ja nicht so, dass wir Arbeit verweigern – im Gegenteil, wir wollen Arbeiten und sind auch hochmotiviert dies zu tun. Den Kampf, den wir täglich kämpfen, tragen wir mit uns selbst aus und nicht mit anderen. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, warum viele Menschen nicht mitbekommen, dass sie vielleicht mit depressiven KollegInnen zusammenarbeiten. Es würde den Alltag einfacher machen, wenn ich offen über meine Krankheit mit anderen in der Firma sprechen könnte, sodass sie einfach Bescheid wissen.

Dann würden sich viele vielleicht nicht wundern, warum ich in ihren Augen „komisch“ in gewissen Situationen reagiere oder diese so nicht aushalte. Ich müsste mir auch nicht immer irgendwelche Ausreden einfallen lassen müssen, warum ich nun ein paar Tage fehle, weil ich vielleicht wieder in Therapie gehen muss, wenn ich gerade wieder in ein Loch falle. Es würde einfach den Druck rausnehmen. Jetzt spreche ich kaum mit jemanden darüber, da man oft „abgestempelt“ wird – dann ist man ja weniger leistungsfähig oder läuft Gefahr, öfter in den Krankenstand zu gehen, was so natürlich überhaupt nicht stimmt – bei mir zumindest!

Ohne Medikamente bist du auf einmal in Sekunden am Boden und das nach einem heftigen Aufprall. Dies waren dann jene Momente, in denen ich mir mein Leben nehmen wollte.

Sandra, Betroffene

„Besteht in deinem Fall eine Chance, dass du wieder vollständig gesund wirst, also dass du ohne Medikamente und Therapie leben kannst?“

Sandra: Nein, dies wird nicht der Fall sein. Die Depressionen werden mich immer begleiten, ich versuche nur, gut mit ihnen an meiner Seite leben zu können. Speziell meine innere Stimme versuche ich in den Griff zu bekommen. Wie überall gibt es Tage, da mache ich sehr gute Fortschritte, an anderen wiederum falle ich in das tiefe Loch, wo ich nur schwer wieder raus komme. Die Medikamente helfen mir dabei, nicht allzu tief zu fallen. Sie bewirken leider nicht, dass die Stimme verschwindet, doch sie lassen mich nicht allzu tief fallen, bremsen den Aufprall ab und lassen mich leichter landen. Ohne Medikamente bist du auf einmal in Sekunden am Boden und das nach einem heftigen Aufprall. Dies waren dann jene Momente, in denen ich mir mein Leben nehmen wollte.

Da denke ich nicht an meine Familie, meine Kinder oder meinen Ehemann. In diesen Situation möchte man einfach, dass es aufhört und dem ganzen ein Ende setzen. Deshalb ist die Kombination aus Medikamente und Therapie so wichtig – eine Selbsttherapie mit Hausmittelchen kann nicht gut gehen. Hier muss man von SpezialistInnen begleitet werden, die die Dosis auch immer wieder abstimmen und einstellen müssen. Ich hatte auch manchmal das Gefühl, dass es wieder bergauf geht bzw. mir es so gut, dass ich komplett auf die Medikamente verzichten kann. Meine Ärztin hatte mich damals nur angelächelt. Einen Tag später merkte ich, dass sie recht hatte.

„Was würdest du sagen, ist die größte Einschränkung im Alltag für dich aufgrund dieser Krankheit?“

Sandra: {lacht}.. dass ich mir nicht mal mehr ein Butterbrot alleine streichen kann! Ja, wirklich! Bei uns zu Hause sind nämlich alle scharfen und spitzen Gegenstände verräumt und sogar versperrt. Natürlich kann ich mir ein Butterbrot schmieren, doch dann muss mein Mann neben mir stehen und alles überwachen. Sobald ich fertig bin, wird dann wieder alles verräumt und gut versperrt. Auch im Büro besitze ich beispielsweise keine Schere – die hat meine Kollegin bei sich in der Lade versperrt. Ich weiß, dies ist nur schwer nachvollziehbar, doch ist dies wirklich eine Sicherheitsmaßnahme, die unbedingt sein muss.

Wenn ich weiß, dass neben mir in der Lade eine Schere liegt und ich kurzfristig in ein Tief rutsche, dann kann dies böse enden – auch nach fast 8 Jahren Therapie. Deshalb meine ich, dass ich nie wieder gesund werde. Mein Ziel ist es, mit dieser Krankheit so gut es geht leben zu können. Auch diese „Sicherheitsmaßnahmen“ kann ich beispielsweise in meiner Firma nicht offen ansprechen. Ich bin mehr als froh, dass ich so eine verständnisvolle Kollegin um mich habe, die so mit mir den Arbeitsalltag meistert.

#Fazit

Sandra ist eine von vielen tausenden und Millionen Menschen, die tagtäglich mit Depressionen zu kämpfen haben. Ich danke ihr von ganzen Herzen, dass sie mir ihre persönliche Geschichte anvertraut hat. Es gibt aber noch viele weitere Geschichten, die genauso oder  auch ganz anders aussehen. Es wird höchste Zeit, diese Krankheit zu thematisieren und zu entstigmatisieren – und das vor allem in der Arbeitswelt!

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