Andrea König ist Soziologin, Business Mentaltrainerin und Gründerin von Karrieregeflüster.…
Homeoffice wird gerade heißer diskutiert als jede andere Arbeitsform und oft völlig am Thema vorbei. Statt im ewigen Pro-oder-Contra-Modus zu verharren, geht es um etwas viel Wichtigeres: Wahlfreiheit und Vertrauen. Warum genau das entscheidend ist und was Unternehmen gerade riskieren, wenn sie es ignorieren, liest du im folgenden Blogpost…
In den letzten Monaten habe ich auf LinkedIn und in Gesprächen mit HR-Verantwortlichen eine fast schon ermüdende Endlosschleife erlebt: Die Homeoffice-Debatte wird geführt, als gäbe es nur zwei Lager – Pro oder Contra. Bitkom (2024) meldet: Nur noch 58 % der Unternehmen erlauben mobiles Arbeiten, jedes fünfte hat es komplett gestrichen, weitere 20 % planen Kürzungen. Die Argumente klingen wie aus einem Handbuch aus den 90er Jahren: „Kultur fördern“, „Innovation stärken“, „bessere Steuerbarkeit“. Ganz ehrlich? Das ist nicht die eigentliche Frage. Die Frage ist: Wer entscheidet, wann und wo gearbeitet wird – das Unternehmen oder der Mensch, der die Arbeit macht?
Warum Nähe wertvoll sein kann, aber nicht für alle und nicht immer
Ich kann verstehen, warum manche Führungskräfte für mehr Präsenz plädieren. In meinem eigenen Arbeitsalltag habe ich selbst erlebt, wie zufällige Gespräche an der Kaffeemaschine plötzlich Ideen zünden, die virtuell so nicht entstanden wären. Studien wie die des MIT (2022) bestätigen: Physische Nähe kann Innovation fördern. Onboarding, Teamspirit, nonverbale Signale – all das funktioniert im Büro oft besser. Aber: Für andere Mitarbeitende ist genau dieses „Mehr Nähe“ kein Mehrwert, sondern ein zusätzlicher Stressfaktor. Pendeln, laute Großraumbüros, zerrissene Konzentrationsphasen, all das kann Produktivität und Wohlbefinden senken. Was für den einen der Motivationsschub ist, ist für die andere ein Performance-Killer.
Flexibilität ist kein Nice-to-Have, sondern ein strategischer Vorteil!
Andrea, Karrieregeflüster
RTO-Pflicht: Wenn die falsche Frage zur falschen Lösung führt
Der Reflex „Alle zurück ins Büro“ verrät oft mehr über die Führungsetage als über die Kultur: mangelnde Skills in virtueller Führung, Angst vor Kontrollverlust, sowie fehlende KPIs für ergebnisorientiertes Arbeiten. Microsoft (Work Trend Index 2023) zeigt: 87 % der Mitarbeitenden sind im Homeoffice genauso oder sogar produktiver. 54 % geben an, dass Flexibilität der Grund ist, zu bleiben. Wird diese Flexibilität gestrichen, steigen Fluktuation, Rekrutierungsprobleme und psychische Belastungen. Besonders für Eltern und pflegende Angehörige, vor allem Frauen, bedeutet das: mehr Mental Load, schlechtere Vereinbarkeit und oft das Ende von Karrierechancen. Eine Rückkehrpflicht ohne klaren Mehrwert ist also nicht nur eine Kulturfrage, sondern eine Gleichstellungsfrage.
„Homeoffice oder Büro?“ ist die falsche Wahl
Das eigentliche Problem: Wir führen eine Scheindebatte. Es geht nicht darum, ob Homeoffice besser ist oder das Büro. Es geht darum, ob wir Menschen zutrauen, selbst zu entscheiden, wann welcher Ort den größten Wert bringt. Wahlfreiheit ist der Kern – und der Lackmustest für eine Kultur, die auf Vertrauen statt Kontrolle baut. Ich habe Unternehmen gesehen, die genau das leben: Kuratierte Präsenztage für Co-Creation und Workshops, sowie frei wählbare Homeoffice-Tage für Deep Work. Das Ergebnis: höhere Motivation, bessere Zusammenarbeit, weniger Krankmeldungen und eine Recruiting-Position, um die andere Firmen sie beneiden.
Vertrauen ist messbar und es zahlt sich aus
Gallup (2023) belegt: Teams mit klaren Zielen, echter Autonomie und Vertrauen sind engagierter, innovativer und gesünder. Flexibilität ist kein Nice-to-have, sondern ein strategischer Vorteil. Sie reduziert Pendelstress, unterstützt mentale Gesundheit und macht Vereinbarkeit von Beruf und Familie realistisch – ohne, dass jemand dafür seine Karriere opfern muss. Wer Mitarbeitenden zutraut, die richtige Wahl zu treffen, bekommt Leistung, weil sie wollen – nicht, weil sie müssen. Wer dagegen auf Zwang setzt, bekommt Dienst nach Vorschrift und verliert die besten Leute an Unternehmen, die verstanden haben, dass Menschen keine Schachfiguren sind.
Fazit:
Homeoffice oder Büro? Sorry, falsche Frage! Die richtige lautet: Wie schaffen wir Rahmenbedingungen, in denen Menschen selbst entscheiden können, wo sie am besten arbeiten und das Unternehmen trotzdem damit fein ist? Solange wir diese Debatte im Pro/Contra-Modus führen, bleiben wir in den alten „oldwork“-Mustern gefangen.
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Andrea König ist Soziologin, Business Mentaltrainerin und Gründerin von Karrieregeflüster. Sie schreibt über mentale Gesundheit, New Work mit Haltung und systemische Widersprüche in der Arbeitswelt – klar, kritisch und immer mit Fokus auf den Menschen.