Andrea König ist Soziologin, Business Mental Coach, New Workfluencer und…
Narrative prägen unsere Wahrnehmung von Arbeit und Erfolg stärker, als uns oft bewusst ist. Sie beeinflussen, wie wir uns selbst sehen, wie wir andere bewerten und welche Prioritäten wir setzen. Doch was, wenn viele dieser Narrative schlichtweg falsch sind – und uns sogar schaden? Zeit, diese Mythen der Arbeitswelt kritisch zu hinterfragen und zu entmystifizieren. Welche Glaubenssätze haben wir verinnerlicht, und warum ist es so wichtig, sie neu zu denken?
Der Einfluss von Narrative
Spezielle Narrative bzw. Glaubenssätze gibt es in unserer Arbeitswelt ja bereits recht lange. Viele davon sind positiv formuliert, aber mindestens genauso viele beeinflussen uns wiederum negativ. Ausdruck findet dies in unserem Verhalten Anderen gegenüber. Entweder direkt in unserem Umfeld oder indirekt in unserer Gesellschaft. Wie wir beispielsweise arbeitslose Menschen ansehen, hat etwas mit jenem Bild zu tun, welches wir von dieser Zielgruppe in uns internalisiert haben. New Work hat meiner Meinung nach die Aufgabe, erstens uns diese Narrative bewusst zu machen und zweitens diese kritisch zu reflektieren: Welchen Einfluss haben diese Erzählungen über die moderne Arbeitswelt auf mein Verhalten? Wie gehe ich mit mir selbst sowie mit meinen Mitmenschen um? Wo habe ich Vorurteile, die objektiv gesehen aber so nicht halten?
Alles nur Mythen!
Aktuell beobachte ich sehr stark, wie sich gerade konservative Parteien an diesen „guten alten“ Narrativen bedienen, um Wähler:innen-Stimmen zu sammeln und um damit ihre Programme durchsetzen zu können – die btw. nicht unbedingt sehr Arbeitnehmer:innen-freundlich sind. Kommunikation lässt sich mit kurzen prägnanten Sätzen nun eben leichter gestalten, als mit komplizierten langwierigen Erklärungen, die es aber oftmals erfordert. Deshalb möchte ich die gängigsten Narrative aufgreifen und erläutern, warum diese meiner Meinung nach schlichtweg falsch sind und nichts mit New Work zu tun haben:
„Karriere klappt nur, wenn du dich genug anstrengst und etwas leistest!“
Dieses Narrativ möchte ich um ein prägnantes Bild ergänzen, nämlich mit der Karotte, die immer vor unserer Nase hängt – an die wir aber nicht herankommen, egal wie viel wir uns anstrengen. Der Leistungsbegriff wird uns von klein auf eingetrichtert. Doch niemand erklärt uns, was Leistung denn wirklich bedeutet. Es wird uns suggeriert, dass Leistung viel mit Erfolg zu tun hat, was ja dann bekanntlich zu Glück und Zufriedenheit führt. Doch: „There is no road to happiness because happiness is the road.“
„Du kannst alles erreichen, wenn du nur genug daran glaubst.“
Dieses Narrativ lässt uns im Glauben, dass wir alle es gleichermaßen schaffen können – und somit, dass jeder Mensch dieselben Voraussetzungen und damit Chancen hat. Ignoriert wird, dass es zB aber unterschiedlichen Zugang zu Bildung, zu Ressourcen, zu Kapital uvm. gibt. Auch hier ist wiederum das Karotten-Bild von vorhin passend, nur mit der Ergänzung, dass man sich zudem noch schlecht fühlt, wenn man die Karotte nicht zu greifen bekommt. Man ist ja schließlich selbst Schuld. Dieser Glaubenssatz zählt zu den hartnäckigsten und schädlichsten. Er provoziert eine herabwürdigende Haltung im Zwischenmenschlichen und fördert damit Spaltung und Ungleichgewicht.
„Setze dir Ziele, denn nur so findest du berufliche Erfüllung!“
Auch das Thema „Ziele“ hält sich sehr hartnäckig, dabei kommt es immer darauf an, wie man diese sieht bzw. man mit diesen umgeht. Ziele sind an sich immer mit der Hoffnung verbunden: Danach wird’s mir besser gehen. Nach Erreichung eines Ziels tritt eher der Zustand ein, dass Druck/Angst/Anstrengung/Anspannung wegfallen. Wenn wir uns aber ehrlich fragen: War das Erreichen des Ziels, genau das was ich immer wollte? – dann werden wir uns bei der Beantwortung nicht immer einig sein. Blicke kurz auf den Leben, dann wirst du bemerken, dass die wirklich wichtigen und großen Ereignisse nie geplant waren. „Life is what happens to you while you’re busy making other plans.“ (John Lennon) Mein Tipp: Nimm den Druck aus deinen Zielen, in dem du von „Ideen“ sprichst. Sie dienen neuen Erfahrungen, die du machen möchtest. Gib dem Weg dorthin mehr Gewicht als dem Ergebnis, welches sowieso nicht in unserer Hand liegt.
Happiness is a function of accepting what is: Niemand ist auf der Welt, um unsere Erwartungen zu erfüllen.
Dieter Lange, Autor & Coach
„Du musst härter und länger arbeiten, sonst gefährdest du den gesellschaftlichen Wohlstand!“
Ich denke, dass wir hier den Begriff Wohlstand neu definieren bzw. überdenken müssen. Dies vor allem aufgrund unserer Rahmenbedingungen, die sich massiv in den letzen Jahrzehnten geändert haben. Höher, schneller, weiter – das klappt einfach nicht mehr! Unsere Ressourcen sind enden wollend, ob wir wollen oder nicht. Die Wirtschaft braucht ein Umdenken, sonst brauchen wir bald keine Wirtschaft mehr, denn dann geht’s ums Überleben. Ressourcenschonender Kapitalismus wenn man so möchte, auch wenn sich diese zwei Begriffe auf den ersten Blick widersprechen. Vielleicht klingt auch „Green Economy“ besser – wichtig ist jedoch wirtschaften zu lernen, mit Blick auf unsere ökologischen, aber auch humanen Ressourcen. Auch Menschen stoßen an ihre Grenzen – physisch wie psychisch. Anstatt diese natürlichen Grenzen zu negieren, in der Hoffnung, dass „höher, schneller und weiter“ noch so lange wie möglich weiterläuft, braucht es ein wirtschaftliches Umdenken im Sinne eines gesunden und verantwortungsvollen Umgangs mit dem „Human Capital“. Die Zuschreibung als „Wohlstandsgefährder:innen“ und damit die Verantwortung an die Arbeitnehmenden abzuschieben, halte ich für sehr kritisch und gefährlich!
„Wenn du scheiterst, hast du dich nicht genug angestrengt.“
„Jede/r ist seines/ihres Glücks Schmied:in“ – oder nicht? Dieser Glaubenssatz ist quasi der rote Teppich für Burnout und psychische Erkrankungen, den man sich selbst ausrollt. Wenn etwas nicht so funktioniert wie man es geplant (Achtung: siehe Ziele) hat, dann kann das ja wohl nur an einem selbst liegen (nachdem man alle anderen schon durch hat). Je nach Ziel übersieht man jedoch oft Hürden, die im System liegen, da Veränderungen immer sehr schwer sind. Oder es sollte einfach nicht sein und auch das wird einen Grund haben. Scheitern setzt immer eine gewisse Erwartungshaltung voraus und damit einhergehend auch (Über-)Identifikation in irgendeiner Art und Weise. Und genau dort sollte man ansetzen: Warum brauche ich Erfolg, um mich wieder fühlen zu können? Warum suche ich Bestätigung um beruflichen Umfeld? Worum geht es denn eigentlich? Wonach bin ich eigentlich auf der Suche?
„Nur Menschen mit einem „richtigen Job“ tragen zum Gemeinwohl bei.“
In unserer Gesellschaft wird der Wert von Arbeit oft an ihrer finanziellen Vergütung gemessen. Nur wer erfolgreich ist und viel verdient, der/die ist Leistungsträger:in unserer Gesellschaft und sichert unseren Wohlstand ab. Spätestens seit der Pandemie sollte dieser Glaubenssatz zerbröckelt sein, denn in dieser Krisenzeit hat sich gezeigt, welche Berufsgruppen unser gesellschaftliches System am Laufen halten: Lehrkräfte, Pädagog:innen, Supermarkt-Mitarbeitende, Putzkräfte, Ärzt:innen, Pfleger:innen und ganz viele mehr. Es waren meist Berufsgruppen, in denen mehr Frauen arbeiten und die signifikant schlechter bezahlt werden als andere. Überdies wird in unserer Gesellschaft unbezahlte Arbeit, also Care Arbeit, konsequent abgewertet. Vor allem Frauen als Mütter, aber auch als pflegende Angehörige sind davon sehr stark betroffen.
„Wer weniger arbeitet, ist faul.“
Die nächsten „Wohlstandsgefährder:innen“ sind jene, die nicht Vollzeit arbeiten, sondern in Teilzeit – so der gesellschaftliche Tenor, der sich immer noch sehr hartnäckig hält. Denn warum leistet man nicht den Beitrag, den jede/r hier in der arbeitenden Gesellschaft leistet? Da gibt es mehrere Gründe, doch einer der Top-Gründe sind fehlende Kinderbetreuungsplätze. Dieses Narrativ trifft vor allem Frauen, wobei man es als Frau der Gesellschaft sowieso nicht Recht machen kann: Bekomme Kinder – Bekomme keine Kinder; Bleibe bei den Kindern zu Hause – Du musst so schnell wie möglich wieder arbeiten gehen; Kümmere dich um deine Kinder – Was du arbeitest Vollzeit? Meiner Meinung nach ist es wichtig, Frauen echt Wahlmöglichkeiten zu bieten: Jene, die sich voll und ganz der Care Arbeit widmen möchten, sollen dies genauso tun können, wie jene, die sich für eine rasche Rückkehr in den Job entscheiden. Es braucht weniger entweder-oder, sondern viel mehr sowohl-als-auch! Die Politik sollte sich indes Lösungen und Maßnahmen überlegen, wie man die Care Arbeit so organisiert, dass sie nicht großteils im privaten Bereich und auf den Schultern der Frauen lastet.
„Nur Menschen, die hart arbeiten, verdienen Respekt.“
Dieses Narrativ um „hart arbeitende Menschen“ ist meiner Meinung nach sehr schwierig für ein gemeinschaftliches Miteinander. Hier finden sich ganz viele Aspekte aus den anderen falschen Glaubenssätzen, die wir uns vorhin bereits angesehen haben. Nach der Frage: Was bedeutet Leistung? sollten wir die Frage anschließen: „Was heißt eigentlich <hart arbeiten>?“ Ich bin mir sicher, jede/r von uns hat ein anderes Bild im Kopf, wenn wir uns diese Frage stellen. Und auch, dass wir damit viele Vorurteile bedienen: Wir schließen wahrscheinlich folgende Stereotypen vorab aus: Hausfrauen, Arbeitslose, Beamte, Abwäscher, Putzfrauen uvm. Bei genauerer Betrachtung sind aber genau dies Berufe, die systemerhaltend sind – also wichtig für unser gesellschaftliches Zusammenleben und Funktionieren – aber schlecht oder gar nicht bezahlt werden bzw. teils inakzeptable Arbeitsbedingungen vorherrschen.
Ich lade dich ein, gemeinsam mit mir in eine kurze Selbstreflexion zu gehen: Wie viele Narrative bzw. Glaubenssätze sind bei dir immer noch sehr präsent bzw. welche hattest du bis dato noch nie hinterfragt? Habe ich wichtige Narrative vergessen, welche sich zwar hartnäckig halten, aber von Grund auf falsch sind? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen.
What's Your Reaction?
Andrea König ist Soziologin, Business Mental Coach, New Workfluencer und Gründerin des Blogs „Karrieregeflüster“. New Work sieht sie als Chance, die beste Version von uns selbst zu sein und somit nachhaltig die Arbeitswelt zu verändern.