Andrea König ist Soziologin, Business Mentaltrainerin und Gründerin von Karrieregeflüster.…
Die Digitalisierung schreitet voran, die KI, also Künstliche Intelligenz zieht leise, aber bestimmt in die Personalabteilungen ein. Bewerbungen werden automatisiert vorsortiert, Chatbots übernehmen erste Interviews, Algorithmen prognostizieren die Fluktuation von Mitarbeitenden. Effizienz, Objektivität, Schnelligkeit – die Versprechen sind groß. Doch während Systeme lernen, besser zu „lesen“, was Menschen ausmacht, drängt sich eine unbequeme Frage auf: Wo bleibt der menschliche Blick inmitten all der Datenpunkte?
KI & Automatisierung als Fortschritt – aber um welchen Preis?
Es ist unbestritten: KI hat das Potenzial, HR-Prozesse erheblich zu verbessern. Sie kann Vorurteile in der Personalauswahl reduzieren, Talente objektiver erfassen und administrative Aufgaben massiv vereinfachen. Gerade bei repetitiven Tätigkeiten wie der Lebenslaufanalyse oder der Terminvereinbarung ist Automatisierung eine spürbare Entlastung. Doch Fortschritt ist nicht gleich Fortschritt. Denn wo Entscheidungen über Menschen getroffen werden – über ihre Eignung, ihr Entwicklungspotenzial, ihr „Cultural Fit“ –, darf der menschliche Faktor nicht fehlen. KI-Systeme spiegeln oft unbewusst gesellschaftliche Verzerrungen wider, wie Studien etwa von der MIT Media Lab eindrücklich zeigen. Wenn historische Daten die Trainingsgrundlage bilden, reproduzieren Algorithmen eben auch die blinden Flecken der Vergangenheit.
Zwischen Effizienz und Empathie: eine neue Führungsaufgabe
Gerade Führungskräfte sind gefordert, eine neue Balance zu finden. Es reicht nicht, KI-Tools einzukaufen und in bestehende Prozesse zu integrieren. Es braucht ein bewusstes Design von HR-Prozessen, in denen Technologie den Menschen dient – nicht ersetzt.
Ein Beispiel: Beim Einsatz von KI-gestütztem Bewerber:innen-Matching sollten immer auch persönliche Gespräche folgen, in denen Soft Skills, Ambiguitätstoleranz oder Teamdynamiken zur Sprache kommen. Denn kein System erkennt, ob jemand mit seinem Bruch im Lebenslauf nicht gerade die Resilienz mitbringt, die einem Team fehlt.
Eine gute Praxis ist es, interdisziplinäre Ethik-Boards in die HR-Tech-Einführung einzubinden, in denen HR, IT und Mitarbeitende gemeinsam Leitlinien für Fairness und Transparenz entwickeln. Damit wird Verantwortung nicht ausgelagert, sondern gemeinsam getragen.
KI ist nicht dazu da, uns zu ersetzen, sondern um uns zu ergänzen und uns dabei zu helfen, besser zu werden.
Margaret Boden, britische KI-Pionierin und Kognitionswissenschaftlerin
Vertrauen entsteht nicht durch Technik – sondern durch Haltung
In einer Welt, in der ein Großteil der Mitarbeitenden-Kommunikation automatisiert abläuft, bekommt die Frage nach echter Zugehörigkeit eine neue Dringlichkeit. Wer sich als Nummer im System fühlt, wird sich kaum mit einem Unternehmen identifizieren – unabhängig davon, wie „smart“ die Tools sind.
Vertrauen entsteht durch Dialog, durch Feedback auf Augenhöhe, durch das Gefühl, gesehen zu werden. Technologie kann unterstützen – etwa durch die anonyme Analyse von Stimmungsbildern im Unternehmen oder durch Tools für kontinuierliches Feedback. Aber die entscheidende Arbeit bleibt zwischen Menschen.
HR sollte deshalb nicht nur in Technologie investieren, sondern parallel auch in die Kommunikationskompetenz und emotionale Intelligenz ihrer Teams. Führung wird in Zukunft nicht durch Datenhoheit definiert, sondern durch die Fähigkeit, Komplexität empathisch zu navigieren.
KI: Handlungsspielräume erkennen und gestalten
Die entscheidende Frage lautet nicht: Setzen wir KI ein – ja oder nein? Sondern: Wie setzen wir sie ein, und mit welchem Anspruch? Wenn du in HR arbeitest oder Führungsverantwortung trägst, frage dich: Unterstützt die eingesetzte Technologie Deine Werte? Werden Bewerber:innen als Subjekte oder als Datenprofile behandelt? Gibt es Räume, in denen Menschlichkeit bewusst kultiviert wird – etwa in Onboarding-Prozessen, Exit-Gesprächen oder bei schwierigen Feedbacksituationen?
Solche Reflexionen sind keine Nice-to-haves. Sie sind essenziell, wenn Unternehmen nicht nur effizient, sondern auch verantwortungsvoll handeln wollen.

Fazit: Technologie ist ein Werkzeug – kein Ersatz für Haltung
Künstliche Intelligenz wird die HR-Arbeit verändern, keine Frage. Aber ob sie sie verbessert, hängt davon ab, wie wir sie nutzen. Es braucht ein neues Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit digitalen Tools – eines, das Menschlichkeit nicht als Störgröße, sondern als essenzielle Ressource begreift.
Was denkst du: Wo liegen für dich die Grenzen von Automatisierung in der Personalarbeit – und wo ihre größten Chancen?
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Andrea König ist Soziologin, Business Mentaltrainerin und Gründerin von Karrieregeflüster. Sie schreibt über mentale Gesundheit, New Work mit Haltung und systemische Widersprüche in der Arbeitswelt – klar, kritisch und immer mit Fokus auf den Menschen.