Martin Gaedt ist Autor der Bücher "Smart Arbeiten mit der…
Bereits 2022 haben hunderte Handwerks- und Produktionsbetriebe auf Instagram mit dem Hashtag #4tagewoche für die Mitarbeit in ihrem Unternehmen geworben. 2023 kommen täglich Firmen hinzu, die eine #3tagefreizeit anbieten. Wir reden über Österreich, die Schweiz und Deutschland. In allen Branchen wird die 4-Tage-Woche längst praktiziert. Ob man sie einführt, ist eine unternehmerische Entscheidung, die auf Fakten basieren sollte. Deshalb habe ich die Erfahrungen von 151 Betrieben aus der D-A-CH-Region in einem Buch gesammelt.
Was bedeutet die 4-Tage-Woche für Mensch & Umwelt?
Die Wiener Firma Leithäusl spart 2022 durch die 4-Tage-Woche 72 Tonnen CO2. 160.000 Euro werden weniger für Sprit und Wartungskosten ausgegeben. Schaffen die 450 Mitarbeitenden weniger? Der Umsatz bleibt gleich. Hochgerechnet auf alle Unternehmen, bietet die 4-Tage-Woche ein enormes Potenzial im Klimaschutz. Hinzu kommen 20 Prozent weniger Abgase durch weniger Pendeln zur Arbeit und zurück nach Hause.
Die Erholung mit einer 3-Tage-Freizeit lässt Krankenstände in Unternehmen messbar sinken. Die Zahlen sprechen für sich. Mit weniger Arbeitszeit wird mehr gearbeitet, weil die Menschen gesünder sind. Das ist alles gut belegt. Wer mehr Produktivität will, bietet mehr Freiraum und Ruhephasen.
Beim Maschinenbaubetrieb Wenzel Group hat sich der Krankenstand seit Einführung der 4-Tage-Woche halbiert. „Das ist phänomenal gut“, findet Personalleiter Daniel Eisler, dessen Erwartungen deutlich übertroffen wurden.
Der Krankenstand in der GOEKELER Messtechnik GmbH liegt bei 0,5 %. 2020 wurde dort die 4-Tage-Woche mit 34 Wochenstunden Arbeitszeit eingeführt. Die Firma steht weltweit in der TOP 3 ihrer Branche.
Am zusätzlichen freien Tag könne man den Akku ordentlich aufladen. Das sei gerade bei der schweren körperlichen Arbeit wichtig. Die Firma Leithäusl hat mit einer wissenschaftlichen Begleitung zur Einführung der 4-Tage-Woche herausgefunden, dass Menschen mit körperlich schweren Tätigkeiten besonders stark von einer 3-Tage-Freizeit profitieren.
Alles faule Couch-Potatos!?
Seit 5.000 Jahren gibt es Sprüche über „Die Jugend“. 180 Generationen Schwarzmalerei über faule, unmotivierte junge Menschen. Ich muss jedes Mal lachen. Junge Menschen engagieren sich mehr als alle anderen Altersgruppen ehrenamtlich, und gleichzeitig haben sie auf bestimmte Formen von Arbeit – zu Recht – keinen Bock! Was sagt uns das? Unwilligkeit zu arbeiten? Eher nicht!
„Wenn wir nein sagen, sagen wir nicht nein zu Arbeit, Leistung und dem Unternehmen. Wir sagen nein zu veralteten Strukturen und Arbeitsmodellen und stehen ein dafür, dass Input ungleich Output ist!“, schreibt eine junge, engagierte Mitarbeiterin zum Vorwurf, nicht mehr arbeiten zu wollen.
„Einer meiner Antriebe zur 4-Tage-Woche ist die Liebe zu meinem Beruf“, erzählt die Unternehmerin Jana Koske: „Ich wünsche mir, mit derselben Energie wie heute auch noch in 10 und in 20 Jahren arbeiten zu können. Ich liebe meine Arbeit, ich arbeite richtig gerne. Auch meinen Sport liebe ich, und dennoch mache ich nicht täglich Sport. Ich liebe meine Arbeit so sehr, dass ich bis zur Rente volle Leistung bringen will. Um das aktuelle Leistungsniveau zu halten, brauche ich wie im Sport Ruhephasen.“
Eine 4-Tage-Woche ist eine clevere Art der Wertschätzung der Mitarbeitenden und eine Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit. Alle Betriebe berichten von mehr Motivation und guter Stimmung im Team.
Es geht bei der 4-Tage-Woche nicht primär darum, weniger zu arbeiten, sondern anders, neu, effektiver und smarter.
Martin Gaedt, Autor „4-Tage-Woche“
„Bewerbungen prasseln auf uns ein!“
Neben anderen positiven Wirkungen erleben 4-Tage-Betriebe einen messbaren Anstieg der Bewerbungen: „Bewerbungen prasseln auf uns ein“, „Von 4 auf 20 Fachkräfte gewachsen, und 25 auf der Warteliste“, „Vorher keine und jetzt 50 Bewerbungen“, so lauten die Berichte, auch von der Wiener Firma Whatchado.
In einer 4-Tage-Woche wird in fast allen Unternehmen die Arbeitszeit reduziert. Aber das ist nicht der wesentliche Clou. Es geht nicht primär darum, weniger zu arbeiten, sondern anders, neu, effektiver, smarter. Es geht um ein Update der Geschäftsmodelle und der Arbeitswelt! Wie oft machen technische Geräte Updates? Und wie oft machen Unternehmen ein Updates der Prozesse, Fortbildungen, Tools und wie oft misten sie Überflüssiges und Störendes aus?
Menschen suchen Unternehmen mit einer gesunden Unternehmenskultur. Wer sie anbietet, bekommt mehr Bewerbungen. So einfach! Und so gut!
Jahrzehntelang gab es nur „Teilzeit“ als Ausnahme zur normalen „Vollzeit“. Doch ein „Teil“ vom Ganzen ist nicht wertschätzend und wird der Leistung von Menschen nicht gerecht. In einer 4-Tage-Woche mit reduzierten Arbeitszeiten könnten Millionen Menschen in „Vollzeit“ arbeiten. Viele „Teilzeit“-Arbeitskräfte möchten mehr Zeit arbeiten, aber keine 40 Wochenstunden. Eine 30- oder 32-Stunden-Woche in einer 4-Tage-Vollzeit würde vielen Menschen ermöglichen mehr zu arbeiten, ohne sich zu übelasten. Die Teilzeitfalle, Teilzeitlöhne und Teilzeitrenten könnten gestrichen werden. Wer mehr arbeiten will, arbeitet „Vollzeit-Plus“. Noch ist das eine Vision.
Was bedeutet die 4-Tage-Woche?
Die Heizungs- und Sanitär-Firma Gaßner praktiziert sie bereits seit 2018 in Denkingen. Die Chefin Aylen Bauser sagt: „Nicht vergessen, dass man selbst auch Mensch ist.“
In allen Gesprächen und in der Recherche zur 4-Tage-Woche hat mich der klare, ernst gemeinte Fokus auf den Menschen besonders beeindruckt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen im Mittelpunkt der Überlegungen zur Veränderung: „Wie kann ich dafür sorgen, dass die Angestellten zufrieden sind und im Betrieb bleiben?“ „Mehr Lohn kann ich nicht zahlen, aber mehr Freizeit kann ich ihnen bieten.“ „Wie baue ich den Stress und die Überlastung ab?“ „Unsere Angestellten gehen auf dem Zahnfleisch, wir wollen dafür sorgen, dass sie gesund bleiben und ihre guten Leistungen noch lange bei uns bringen können.“
Im Ergebnis tut die umgesetzte 4-Tage-Woche auch der Firma gut. Und immer unterschiedlich!
So viele Modelle wie Betriebe und Branchen
Die 4-Tage-Woche wird immer passend zu der Branche, zum Unternehmen, Kund:innen und Beschäftigten umgesetzt. Daher gibt es fast 151 Modelle im Buch. 39, 38, 37, 36, 35, 34, 32, 30 Stunden. Montags, mittwochs, freitags frei. 4-Tage und 5-Tage-Woche in einem Betrieb.
Werden alle eine 4-Tage-Woche einführen? Die 4-Tage-Woche wird ein Modell von vielen sein. Ich denke, wir erleben gerade den Anfang einer kompletten Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Immer mehr Betriebe regeln Arbeit neu in enger Abstimmung mit den Beschäftigten. Und auch die Kund:innen sind begeistert!
Die Buchhandlung Heyn in Klagenfurt hat 150 Glückwunsch-E-Mails von zufriedenen Kund:innen bekommen, als ein Tag länger geschlossen wurde, um die Zeit dem Team zu schenken. Immer mehr Friseursalons öffnen dienstags bis freitags. Sie sind weiterhin profitabel. Mehrere Bäckereien öffnen vier Tage die Woche, und weil ihr Brot und Kuchen so lecker schmecken, kaufen die Kund:innen an den vier Tagen so viel wie vorher an fünf oder sechs Tagen. Sie sind weiterhin profitabel. Manche Sanitär- und Heizung-Handwerksbetriebe haben ein montags-frei- und freitags-frei-Team. So schaffen sie mit einer 4-Tage-Woche längere Service-Zeiten für Kund:innen. Umsatz und Gewinn gestiegen.
Das bedeutet, immer mehr Unternehmen passen die Arbeitszeiten individuell ans Geschäftsmodell, an die Kund:innen und die Beschäftigten an. Dieser Dreiklang führt zu passenden Arbeitszeiten. Und dann stellen sie fest: „Happy Mitarbeiter:innen bringen happy Gäste“, wie mir die General Managerin vom 25hours Hotel in Köln, Grit Pauling sagt: „Geht nicht, ist Bullshit. Es muss anders koordiniert und gut kalkuliert werden. Für die positiven Effekte lohnt sich der Aufwand der Umstellung.“
Immer wirkungsvoll ist das Ausmisten der Prozesse. Überflüssige und bremsende Bullshit-Anteile werden gestrichen.
Martin Gaedt, Autor „4-Tage-Woche“
Die Weiterentwicklung der 4-Tage-Woche
Betriebe mit einer 4-Tage-Woche bleiben nicht stehen, sie sind längst dabei, ihre Modelle weiterzuentwickeln. Das bedeutet, während andere noch debattieren, ob es geht – und das häufig verneinen, gehen die Vorreiter:innen-Betriebe bereits die nächsten Schritte.
Mehrere Handwerksbetriebe haben mir erzählt, dass ihr mittelfristiges Ziel lautet: „Arbeiten, wann man will.“ Das ist anfangs eine Umstellung in der Planung und Koordinierung, bis es normal und etabliert ist.
F&P befragt ihre mehr als 180 Angestellten in Leipzig und in Selbitz regelmäßig. Damit Katharina Zander, Head of People & Culture, weiterhin weiß, wie die Stimmung ist, macht sie mit allen Teams alle drei Monate eine Umfrage: „Wir haben die Umstellung im Vorfeld intensiv in den Teams begleitet, und auch künftig wird es Anpassungen geben, um auf die individuellen Bedürfnisse hinsichtlich der 4-Tage-Woche eingehen zu können“, sagt sie.
So funktioniert die 4-Tage-Woche: Prozesse ausmisten & Updates
Immer wirkungsvoll ist das Ausmisten der Prozesse. Überflüssige und bremsende Bullshit-Anteile werden gestrichen. Die SKS-Steuerberatung in Dresden und Berlin stellt nur noch zweimal pro Tag E-Mails zu. Das ist eine wirksame Servereinstellung. Drei Stunden pro Tag werden dort keine Anrufe durchgestellt. Von 10 bis 12 Uhr und 14 bis 15 Uhr an vier Tagen von montags bis donnerstags gelten diese „Stillen Stunden“. Beide Maßnahmen erhöhen die Produktivität.
Der Elektro Handwerksbetrieb Edringer gibt iPads mit auf die Baustellen. Bei Änderungswünschen von Kund:innen werden diese auf den Baustellen im Foto markiert und vom Kund:innen vor Ort digital unterschrieben. Das ist eine extreme Zeitersparnis und beugt Missverständnissen vor. Zudem bekommen Kund:innen am Ende ein Fotoalbum mit dem Baufortschritt.
Die Bautrocknungsfirma von Rocco Funke hat die Arbeitszeit von 40 auf 32 Stunden reduziert bei gleichem Gehalt. Sie haben mit den Trocknungslöchern experimentiert und festgestellt, dass eine große Trocknung keine 64 Löcher braucht – wie der Standard es vorschreibt, sondern 32 Löcher dieselbe Wirkung erzielen. Die Hälfte der Arbeit gespart.
Die 4-Tage-Woche ist eine Möglichkeit, neue Wege zu gehen. Es ist keine einmalige Entscheidung, sondern sie stößt einen kontinuierlichen Prozess an.
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Martin Gaedt ist Autor der Bücher "Smart Arbeiten mit der Delete-Strategie" (2024), „4-Tage-Woche" (2023), „Rock Your Work“ (2022), „Rock Your Idea“ (2016) & „Mythos Fachkräftemangel“ (2014). Seit 2014 hat er in 650 Keynotes mehr als 100.000 Menschen provotaint. Seine Vorträge sind ein Cocktail aus Provokation und Entertainment. Seit 1999 ist er Unternehmer und war 61-mal Arbeitgeber.