Andrea König ist Soziologin, Business Mentaltrainerin und Gründerin von Karrieregeflüster.…
Leistungskultur ist heute eines der meistdiskutierten und gleichzeitig am missverstandensten Konzepte in der modernen Arbeitswelt. Zwischen der Sehnsucht nach Freiheit und der Angst vor Kontrollverlust geraten zentrale Werte ins Wanken: Vertrauen, Verantwortung, Klarheit. Ein Posting auf LinkedIn zeigt exemplarisch, wie sich diese Spannungen in zynischen Kommentaren entladen und warum wir dringend ein differenzierteres Verständnis von Leistung brauchen.
Ein LinkedIn-Post als Symptom einer verzerrten Debatte über Leistungskultur
„Bei uns ist Arbeiten wie Urlaub… Und dann wundern wir uns, warum keiner arbeitet?“ So beginnt ein Beitrag, der kürzlich auf LinkedIn in meine Timeline gespült wurde. Zwischen Sarkasmus und Polemik folgt eine Liste moderner Arbeitsrealitäten: Workation, Homeoffice, psychologische Sicherheit – alles abgewatscht als Symptome einer angeblichen Leistungskrise. Mich hat dieser Post ehrlicherweise geärgert. Nicht, weil ich New Work für eine Wunderlösung halte, sondern weil er ein tief sitzendes Missverständnis offenbart: Vertrauen wird immer noch als Gegensatz zu Leistung gesehen. Dabei zeigt die Resonanz: Viele Menschen fühlen sich von dieser Logik angesprochen. Warum eigentlich?

Workation = Leistungsverweigerung? Die rhetorische Falle
Der Gedankensprung von „Ortsunabhängigkeit“ zu „Leistungsabfall“ ist weit verbreitet, aber trügerisch. Wer New-Work-Konzepte wie Workation, Gleitzeit oder Homeoffice nutzt, gilt schnell als weniger engagiert. Dabei gibt es keinerlei Belege für einen pauschalen Zusammenhang zwischen Flexibilität und Faulheit. Im Gegenteil: Studien zur Arbeitspsychologie zeigen, dass Autonomie, Erholung und Selbstwirksamkeit entscheidende Faktoren für nachhaltige Leistungsfähigkeit sind.
In einer Kultur, in der mentale Gesundheit ernst genommen wird, ist es nicht nur erlaubt, sondern notwendig, Arbeit auch einmal zu verlangsamen. Wer das als Schwäche auslegt, verkennt die langfristige Dynamik von Produktivität: Menschen, die Raum für Erholung haben, sind auf Dauer belastbarer und stabiler. Eine moderne Leistungskultur braucht Pausen, nicht Dauerstress.
Wahre Leistungsträger:innen brauchen vor allem eines: Klarheit, Vertrauen und eine Kultur psychologischer Sicherheit. Sie wollen wachsen, nicht ausbrennen. Sie brauchen Feedback statt Mikromanagement, Autonomie statt Kontrolle. High Performance hat nichts mit Selbstausbeutung zu tun.
Andrea, Karrieregeflüster
Leistungskultur: Was brauchen High Performer wirklich?
Viele Führungskräfte stellen sich unter „High Performern“ vor allem überengagierte Workaholics vor, die jederzeit verfügbar sind. Doch wahre Leistungsträger:innen brauchen vor allem eines: Klarheit, Vertrauen und eine Kultur psychologischer Sicherheit. Sie wollen wachsen, nicht ausbrennen. Sie brauchen Feedback statt Mikromanagement, Autonomie statt Kontrolle. High Performance hat nichts mit Selbstausbeutung zu tun. Wer über einen langen Zeitraum konstant gute Ergebnisse liefert, braucht ein Umfeld, das Sinn stiftet und Spielräume lässt. Eine leistungsorientierte Kultur erkennt individuelle Bedürfnisse an, schafft Transparenz über Ziele und Wege, und bietet strukturelle wie emotionale Stabilität.
Der Denkfehler vieler Führungskräfte
Wenn Leistung im Team nachlässt, wird oft zuerst an der Freizügigkeit geschraubt: weniger Homeoffice, mehr Kontrolle, engere KPIs. Der Denkfehler: Man verwechselt Symptome mit Ursachen. In vielen Fällen liegt das Problem nicht an zu viel Freiheit, sondern an zu wenig Klarheit, mangelndem Feedback oder fehlendem Sinn. Dahinter steckt oft ein tieferes Missverständnis von Führung als bloßer Aufsicht. Doch Leadership bedeutet heute, Rahmenbedingungen zu gestalten, die psychische Stabilität ermöglichen. Es geht nicht nur um Performance, sondern um Kulturpflege. Gute Führung heißt, zumutbar zu sein – also Erwartungen klar zu benennen. Aber sie muss auch zumutend sein: Menschen fördern, fordern, ernst nehmen.
Was moderne Arbeitskultur wirklich leisten muss
Wir brauchen ein reiferes Verständnis von New Work. Es geht nicht um flache Hierarchien oder hippe Büros, sondern um eine Kultur, in der Vertrauen als Voraussetzung für Leistung verstanden wird. In der mentale Gesundheit Priorität hat und nicht als individuelles Problem behandelt wird. In der Menschen als Erwachsene ernst genommen werden – mit ihren Bedürfnissen, Grenzen und Ambitionen. Pointierte LinkedIn-Beiträge, die Workation als Symbol für Leistungsverfall brandmarken, lenken vom eigentlichen Thema ab: Wie schaffen wir Arbeitsbedingungen, in denen Menschen dauerhaft leistungsfähig, gesund und motiviert bleiben?
Fazit
Moderne Arbeitskultur darf sich nicht damit begnügen, Buzzwords wie Workation oder Homeoffice gegeneinander auszuspielen. Sie muss den Mut haben, Vertrauen nicht als Gefälligkeit, sondern als Grundlage von Leistung zu begreifen. Nur so entsteht ein Umfeld, in dem Menschen wirklich aufblühen können – individuell, im Team, und im Sinne des Unternehmens.
What's Your Reaction?
Andrea König ist Soziologin, Business Mentaltrainerin und Gründerin von Karrieregeflüster. Sie schreibt über mentale Gesundheit, New Work mit Haltung und systemische Widersprüche in der Arbeitswelt – klar, kritisch und immer mit Fokus auf den Menschen.